Rechtliche Bewertung von Widerstandshandlungen bei Klimaprotesten

Das Kammergericht (KG) Berlin hat in seinem Beschluss vom 16. August 2023 (Az.: 3 ORs 46/23 – 161 Ss 61/23) die Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Geständnissen und die rechtliche Bewertung von Widerstandshandlungen bei Klimaprotesten klargestellt. Die Entscheidung betrifft insbesondere die strafrechtliche Einordnung von Blockaden durch Festkleben auf der Fahrbahn.

Hintergrund der Entscheidung

Die Angeklagte beteiligte sich an einer Straßenblockade der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ auf dem Autobahnzubringer A 111 in Berlin. Dabei klebte sie sich mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn, um die Räumung durch die Polizei zu erschweren. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte sie wegen Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe. Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte Revision ein.

Kernaussagen des Urteils

  1. Beweiswürdigung und Geständnis:
    Das KG Berlin hob das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten auf, da es die Beweiswürdigung als fehlerhaft einstufte. Um die Überzeugung des Gerichts nachvollziehen zu können, müsse die Einlassung des Angeklagten klar und zusammenhängend wiedergegeben werden. Ein bloßer Verweis darauf, dass das Geständnis dem „aktenkundigen Ermittlungsergebnis“ entspreche, reicht nicht aus. Hierdurch wird die Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung nicht ausreichend dargelegt.
  2. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB):
    Das KG stellte fest, dass eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte auch dann gegeben sein kann, wenn sich die Angeklagte bereits vor Beginn der Vollstreckungshandlung auf der Fahrbahn festklebt. Entscheidend ist, dass der Täter durch seine Handlung den Widerstand gegen die Vollstreckung vorbereitet und diesen nicht nur passiv nutzt. Das Festkleben wird als tätige Kraftentfaltung angesehen, die als Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB zu werten ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Polizei das Hindernis letztlich überwinden kann, beispielsweise durch den Einsatz von Lösungsmitteln. Entscheidend ist, dass die Handlung die Vollstreckung erschwert.
  3. Verwerflichkeit der Nötigung (§ 240 Abs. 2 StGB):
    Das KG betonte, dass die Verwerflichkeit einer Nötigung nur durch eine umfassende einzelfallbezogene Würdigung aller Tatumstände festgestellt werden kann. Das Gericht kritisierte, dass das Amtsgericht Tiergarten lediglich eine frühere staatsanwaltliche Verfügung in das Urteil übernommen hatte, ohne selbst eine detaillierte Prüfung vorzunehmen. Für die Beurteilung der Verwerflichkeit müssen Aspekte wie die Ankündigung der Blockade, die Dauer, der Ort, das Ausmaß der Blockade sowie die Motive der Angeklagten umfassend berücksichtigt und festgehalten werden.

Fazit

Das KG Berlin stellt mit diesem Beschluss hohe Anforderungen an die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung von Protestaktionen, insbesondere im Zusammenhang mit Klimaprotesten. Die Entscheidung betont, dass Gerichte bei der Bewertung von Geständnissen sorgfältig vorgehen müssen und dass eine pauschale Übernahme von Ermittlungsakten nicht ausreicht.

Zudem wird klargestellt, dass das Festkleben auf der Fahrbahn eine aktive Widerstandshandlung darstellt, die als Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB bewertet werden kann. Schließlich wird die Bedeutung einer detaillierten Prüfung der Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB hervorgehoben, um sicherzustellen, dass die Strafbarkeit von Nötigungen im Kontext von Protestaktionen richtig erfasst wird.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht)
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