Zulässigkeit präventiver Ingewahrsamnahme von Klimaaktivisten

Das Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth entschied am 25. Oktober 2023 (Az.: 18 T 5292/23) über die Zulässigkeit einer präventiven Ingewahrsamnahme von Klimaaktivisten, die sich vermutlich auf Straßen kleben würden, um den Verkehr zu blockieren. Diese Entscheidung beleuchtet wichtige Aspekte des präventivpolizeilichen Handelns und die Abwägung zwischen öffentlichen Sicherheitsinteressen und individuellen Freiheitsrechten.

Hintergrund der Entscheidung

Der Betroffene war in der Vergangenheit mehrfach an organisierten Verkehrsblockaden beteiligt, bei denen er sich mit Sekundenkleber auf Straßen festklebte, um den Verkehr zu blockieren. Nach einer erneuten Blockade äußerte er gegenüber der Polizei seine Absicht, weiterhin an solchen Aktionen teilzunehmen.

Die Polizei nahm ihn daraufhin präventiv in Gewahrsam, um weitere Straftaten zu verhindern, beantragte jedoch vergeblich beim Amtsgericht Nürnberg die Bestätigung dieser Maßnahme. Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab, woraufhin die Polizei Beschwerde einlegte. Das LG Nürnberg-Fürth hatte nun über die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme zu entscheiden.

Kernaussagen des Urteils

  1. Zulässigkeit der präventivpolizeilichen Ingewahrsamnahme:
    Das Gericht bestätigte die Zulässigkeit der präventiven Ingewahrsamnahme gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG (Polizeiaufgabengesetz Bayern). Es betonte, dass die Maßnahme unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten, insbesondere Nötigung (§ 240 StGB), zu verhindern. Angesichts der konkreten Anhaltspunkte, wie der früheren Beteiligung des Betroffenen an ähnlichen Aktionen und seiner klaren Absichtserklärung, erneut Straftaten zu begehen, war die polizeiliche Prognose, dass weitere Straftaten unmittelbar bevorstanden, nachvollziehbar und schlüssig.
  2. Unerlässlichkeit der Maßnahme:
    Die Ingewahrsamnahme des Betroffenen war auch unerlässlich im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG, da keine milderen Mittel verfügbar waren, um die Begehung der Straftaten zu verhindern. Weder die Beschlagnahme von Gegenständen noch die Observation des Betroffenen hätten denselben Erfolg versprochen wie die Ingewahrsamnahme. Die Maßnahme war somit das letzte Mittel (Ultima Ratio), um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.
  3. Prognose und Dauer der Ingewahrsamnahme:
    Das Gericht wies darauf hin, dass die Polizei bei der Anordnung einer präventiven Ingewahrsamnahme eine klare Prognose zur Dauer der Maßnahme abgeben muss. Diese Prognose ist gerichtlich überprüfbar. Im vorliegenden Fall hatte die Polizei eine Ingewahrsamnahme von 7,5 Stunden beantragt und dies nachvollziehbar begründet. Selbst wenn der Betroffene nach der Freilassung erneut Straftaten begehen könnte, liegt dies in seiner eigenen Risikosphäre und beeinflusst nicht die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßnahme. Das Gesetz sieht zudem die Möglichkeit einer Verlängerung des Gewahrsams vor, falls die Gefahrenlage fortbesteht.

Fazit

Das LG Nürnberg-Fürth hat in diesem Beschluss die Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen für präventive Ingewahrsamnahmen im Zusammenhang mit Klimaprotesten klargestellt. Die Entscheidung betont die Bedeutung einer sorgfältigen polizeilichen Prognose und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung präventiver Maßnahmen. Gleichzeitig wird deutlich gemacht, dass die Verantwortung für das Risiko erneuter Straftaten nach der Entlassung aus dem Gewahrsam beim Betroffenen liegt und die Polizei berechtigt ist, im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse präventiv tätig zu werden, um Straftaten zu verhindern.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht)
Letzte Artikel von Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht) (Alle anzeigen)