Da das deutsche Strafverfahrensrecht keinen allgemeinen Grundsatz dergestalt kennt, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften zu einem strafprozessualen Verwertungsverbot führt, ist eine Einzelfallprüfung erforderlich: Ob ein solches eingreift, ist insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.
In einem umweltstrafrechtlichen Fall, in dem es um die ungenehmigte Verfüllung einer Tongrube ging, spielte die Wägung durch einen Sachverständigen eine Rolle. Der BGH stellte daraufhin klar, dass ein Verstoß gegen die zum Zeitpunkt der Wägung maßgebliche Norm des § 7b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EichO (vgl. § 62 i.V.m. § 31 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Satz 1 MessEG) nicht dazu führt, dass ein unter Verwendung einer nicht geeichten Waage erstelltes Gutachten im Rahmen der Überzeugungsbildung überhaupt nicht verwertet werden darf:
Es ist dem Tatgericht im Falle eines entsprechenden Verstoßes nicht untersagt, das Wiegeergebnis bei seiner Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 27. Februar 2019 – 4 Rb Ss 1197/18 zu § 33 MessEG; aA OLG Hamm, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 5 Ss OWi 637/08; OLG Koblenz, Beschluss vom 19. Januar 2005 – 1 Ss 349/04). Das zum maßgeblichen Zeitpunkt geltende bußgeldbewehrte Verbot der Verwendung ungeeichter Waagen und des Messergebnisses (vgl. § 74 Nr. 17a EichO i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 4 EichG) richtete sich gegen den Verwender der Waage, schränkt aber nicht die Grundsätze der Amtsermittlung und der freien richterlichen Beweiswürdigung ein.
Eine solche strafprozessrechtliche Wirkung kam schon dem (früheren) Eichgesetz ausweislich dessen § 1 nicht zu und wird zudem in der Gesetzesbegründung zur Neufassung nicht erwähnt (vgl. BT-Drucks. 17/12727, S. 46). Vielmehr hat das Tatgericht in freier Beweiswürdigung festzustellen, ob die – gleich auf welchem Weg erlangten – Messergebnisse zutreffen, wobei eine tatsächliche Vermutung bei Verwendung einer geeichten Waage für die Richtigkeit des Ergebnisses spricht (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 – VIII ZR 112/10, NJW 2011, 598 Rn. 13).
Unproblematisch war dies für den BGH vor allem deshalb, weil sich die Strafkammer des verminderten Beweiswerts der von dem Sachverständigen mit einer ungeeichten Waage ermittelten Ergebnisse bewusst war und ihre Überzeugung von deren Richtigkeit unter anderem auf die stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse durch Kontrollwägungen mit einer geeichten Waage stützte. Darüber hinaus wurde die deutliche Überschreitung der zulässigen Grenzwerte auch durch weitere gutachterliche Untersuchungen und Probenahmen bestätigt.
Gleichwohl bleibt – wie so oft im deutschen Strafprozessrecht – ein schaler Beigeschmack, weil sich immer mehr Menschen – in den letzten Jahren wohl zunehmend auch juristische Laien – die Frage stellen, wie ein Rechtsstaat funktionieren kann, wenn man zwar formale Regeln aufstellt, diese aber im Strafverfahren nie wirklich bindend sind, sondern nach Bedarf oder Lust und Laune überschritten werden dürfen.
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