Klimaprotest durch Festkleben auf einer Straße

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in seinem Beschluss vom 21. April 2023 (Az.: 205 StRR 63/23) entschieden, dass das Festkleben auf einer Straße, um Autofahrer am Weiterfahren zu hindern und auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen, eine strafbare Nötigung darstellt. Weder das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG noch der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB noch der sogenannte zivile Ungehorsam rechtfertigen diese Tat.

Hintergrund der Entscheidung

Der Angeklagte hatte sich am 4. Februar 2022 zusammen mit weiteren Aktivisten auf einer Straße in München mit Sekundenkleber festgeklebt, um den Verkehr zu blockieren und auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes aufmerksam zu machen. Diese Aktion führte zu erheblichen Verkehrsbehinderungen, und zahlreiche Autofahrer mussten entweder warten oder Umwege in Kauf nehmen. Das Amtsgericht München verurteilte den Angeklagten wegen Nötigung, was der Angeklagte anfocht. Das BayObLG hatte nun über die Revision zu entscheiden.

Kernaussagen des Urteils

  1. Nötigung und Verwerflichkeit (§ 240 StGB):
    Das Gericht bestätigte, dass das Festkleben auf der Straße eine Nötigung im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB darstellt. Diese Handlung stellt eine physische Behinderung dar, die den Verkehrsteilnehmern keine andere Wahl lässt, als anzuhalten oder Umwege zu nehmen. Die Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB fiel ebenfalls zu Lasten des Angeklagten aus. Das Gericht entschied, dass die Tat nicht durch übergeordnete Interessen, wie etwa den Klimaschutz, gerechtfertigt ist, da die Rechte der betroffenen Verkehrsteilnehmer auf freie Fortbewegung überwiegen.
  2. Keine Rechtfertigung durch Art. 20 Abs. 4 GG:
    Der Angeklagte argumentierte, dass seine Tat durch das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG gerechtfertigt sei. Das BayObLG wies dieses Argument zurück. Es stellte klar, dass das Widerstandsrecht nur in extremen Situationen greift, in denen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland akut bedroht ist und andere Abhilfe nicht möglich ist. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die staatlichen Organe weiterhin handlungsfähig sind und die verfassungsmäßige Ordnung nicht gefährdet ist.
  3. Kein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB:
    Das Gericht prüfte auch, ob die Tat nach § 34 StGB gerechtfertigt sein könnte, verneinte dies jedoch. Es führte aus, dass ein rechtfertigender Notstand nur vorliegt, wenn die Gefahr unmittelbar und gegenwärtig ist und keine anderen, weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung stehen, um die Gefahr abzuwenden. Der Angeklagte hätte auf andere legale Mittel zurückgreifen können, wie z. B. Demonstrationen, Petitionen oder politische Beteiligung, um auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Da diese milderen Mittel vorhanden waren, war die Straftat nicht notwendig und somit auch nicht gerechtfertigt.
  4. Ablehnung der Rechtfertigung durch zivilen Ungehorsam:
    Das Gericht stellte schließlich klar, dass der zivile Ungehorsam keine rechtliche Rechtfertigung für Straftaten darstellt. Ziviler Ungehorsam ist zwar eine Form des Protests gegen staatliche Entscheidungen, jedoch bleibt er per Definition eine illegale Handlung, die nicht durch das Recht gedeckt ist. Das BayObLG führte aus, dass es widersinnig wäre, den zivilen Ungehorsam als Rechtfertigung für Gesetzesverstöße anzuerkennen, da dies die Rechtsordnung untergraben und das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz verletzen würde.

Fazit

Das BayObLG hat in seinem Beschluss klargestellt, dass Straßenblockaden durch das Festkleben auf der Fahrbahn, selbst wenn sie aus einem ehrenwerten Anliegen wie dem Klimaschutz resultieren, strafbare Nötigungen darstellen. Die Tat ist weder durch das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG noch durch den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB oder den zivilen Ungehorsam gerechtfertigt. Diese Entscheidung betont die Grenzen des zivilen Ungehorsams und die Wichtigkeit, rechtliche Mittel für politische Anliegen zu nutzen, anstatt auf illegale Maßnahmen zurückzugreifen.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht)
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