Strafrechtliche Bewertung von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten

Das Kammergericht (KG) Berlin hat in seinem Beschluss vom 31. Januar 2024 (Az.: 3 ORs 69/23 – 161 Ss 157/23) wesentliche Aspekte zur strafrechtlichen Bewertung von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten und zur Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB herausgearbeitet. Die Entscheidung befasst sich insbesondere mit der Bedeutung der Versammlungsfreiheit, den Anforderungen an die Amtsaufklärung und den rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen solche Protestaktionen strafbar sein können.

Hintergrund der Entscheidung

Der Angeklagte beteiligte sich am 11. Februar 2022 an einer Straßenblockade in Berlin, bei der mehrere Aktivisten eine Hauptverkehrsachse blockierten, um auf die aus ihrer Sicht unzureichenden Maßnahmen der Regierung gegen den Klimawandel aufmerksam zu machen.

Während einige Aktivisten sich auf die Straße klebten, nahm der Angeklagte ohne sich festzukleben an der Blockade teil. Die Blockade führte zu einem erheblichen Rückstau und beeinträchtigte den morgendlichen Berufsverkehr. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe, die in der Berufung durch das Landgericht Berlin reduziert wurde. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Revision ein.

Kernaussagen des Urteils

  1. Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB:
    Das KG Berlin betont, dass bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter die Verwerflichkeitsprüfung stets eine Einzelfallabwägung erfordert. Es verweist auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Verwerflichkeit nach einer Abwägung der betroffenen Rechte und Interessen zu beurteilen ist. Dabei müssen die Gerichte die spezifischen Umstände des jeweiligen Falls berücksichtigen. Die Zusammenstellung von Abwägungskriterien, wie sie in früheren Urteilen genannt wurden, sind als Orientierungshilfen zu verstehen, aber nicht als abschließende oder zwingende Vorgaben.
  2. Amtsaufklärungspflicht der Gerichte:
    Die Gerichte sind verpflichtet, alle für die Verwerflichkeitsprüfung wesentlichen Umstände zu ermitteln und festzustellen. Dabei gelten die allgemeinen Grundsätze der Amtsaufklärungspflicht, die eine „verständige Würdigung der Sachlage“ erfordern. In diesem Fall hatte das Landgericht ausreichende Feststellungen getroffen, die die Auswirkungen der Blockade auf den Verkehr und die damit verbundene Einschränkung der betroffenen Verkehrsteilnehmer betrafen.
  3. Beweiswürdigung und Verwerflichkeit:
    Das Landgericht Berlin hatte in seiner Entscheidung die Verwerflichkeit der Tat umfassend geprüft und auf die Dauer der Blockade, die fehlende Ankündigung und den fehlenden konkreten Sachbezug zwischen den blockierten Verkehrsteilnehmern und dem Protestgegenstand hingewiesen. Es kam zu dem Schluss, dass die Freiheitsbeschränkungen der Verkehrsteilnehmer nicht bloß Nebenwirkung einer erlaubten Meinungskundgabe waren, sondern gezielt und absichtsvoll herbeigeführt wurden.
  4. Aufklärungsrüge und Anforderungen an die Revision:
    Das KG stellte klar, dass für eine zulässige Aufklärungsrüge in der Revision die Tatsachen, die den Mangel begründen, vollständig angegeben werden müssen. Im vorliegenden Fall wurde die Revision als unzulässig erachtet, da die Darstellung des Revisionsführers unvollständig war und der vollständige Inhalt der relevanten Dokumente, wie der Strafanzeige und Zeugenaussagen, nicht mitgeteilt wurde. Dies verhinderte eine umfassende Prüfung der behaupteten Verletzung der Aufklärungspflicht.

Fazit

Das Kammergericht Berlin hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die strafrechtliche Bewertung von Straßenblockaden im Kontext von Klimaprotesten einer sorgfältigen Einzelfallprüfung bedarf. Die Gerichte müssen die Verwerflichkeitsprüfung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände durchführen und können sich nicht auf allgemeine Abwägungskriterien beschränken.

Zudem betont das Gericht die Bedeutung einer vollständigen Beweiswürdigung und die hohen Anforderungen an die Aufklärungsrüge in der Revision. Die Entscheidung unterstreicht die Balance zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und der Notwendigkeit, öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten.

Rechtsanwalt Jens Ferner (Fachanwalt für Strafrecht & IT-Recht)
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