Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 20. Februar 2024 (Az.: 2 ORs 35 Ss 120/23) befasst sich mit der strafrechtlichen Bewertung von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten und legt dabei besonderes Augenmerk auf die Verwerflichkeitsprüfung gemäß § 240 Abs. 2 StGB. Die Entscheidung ist von Bedeutung für die Abwägung der Versammlungsfreiheit und den Schutz anderer Rechtsgüter, insbesondere der Bewegungsfreiheit unbeteiligter Dritter.
Hintergrund der Entscheidung
Der Angeklagte beteiligte sich an mehreren nicht angemeldeten Straßenblockaden in Freiburg im Februar 2022. Diese Blockaden führten zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und Rückstaus. Das Amtsgericht Freiburg sprach den Angeklagten in erster Instanz vom Vorwurf der Nötigung frei, obwohl es den Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB als erfüllt ansah. Es verneinte jedoch die Verwerflichkeit der Taten gemäß § 240 Abs. 2 StGB und somit die Rechtswidrigkeit der Nötigung. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Revision ein, die zur Aufhebung des Freispruchs führte.
Kernaussagen des Urteils
- Verwerflichkeitsprüfung bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter:
Das OLG Karlsruhe betonte, dass bei der Prüfung der Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssen. Dabei darf das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen, wie etwa der Klimaschutz, nicht bewertet werden. Diese Abwägung muss sich auf die Rechte, Güter und Interessen konzentrieren, die im jeweiligen Einzelfall auf dem Spiel stehen. - Erforderliche Feststellungen zur Nachvollziehbarkeit der Bewertung:
Um die getroffene Entscheidung im Rahmen einer Verwerflichkeitsprüfung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der wesentlichen Umstände im Urteil detailliert festgestellt sein. Das OLG Karlsruhe kritisierte, dass das Amtsgericht Freiburg wesentliche Feststellungen, insbesondere zu den Auswirkungen der Blockaden und den zur Verfügung stehenden Ausweichmöglichkeiten, nicht ausreichend getroffen hatte. Diese Feststellungen sind jedoch notwendig, um die Beurteilung der Verwerflichkeit im konkreten Fall zu ermöglichen.
Analyse der rechtlichen Aspekte
- Nötigungstatbestand und Verwerflichkeitsprüfung:
Das Gericht stellte klar, dass die Blockadeaktionen den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB erfüllen, da durch das Sitzen auf der Fahrbahn und das Festkleben am Asphalt eine physische Zwangslage für die betroffenen Autofahrer geschaffen wurde. Die Verwerflichkeitsprüfung nach § 240 Abs. 2 StGB ist entscheidend, um zu bestimmen, ob diese Handlung auch rechtswidrig war. Dabei kommt es auf eine sorgfältige Abwägung an, ob die Beeinträchtigungen der Rechte Dritter durch die Blockadeaktionen sozial unerträglich und damit verwerflich waren. - Rechte und Interessen in der Abwägung:
In seiner Entscheidung hob das OLG Karlsruhe hervor, dass bei der Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte die Versammlungsfreiheit der Blockierenden (Art. 8 GG) einerseits und die Bewegungsfreiheit der betroffenen Verkehrsteilnehmer andererseits in den Blick zu nehmen sind. Es wies darauf hin, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit zwar umfassend geschützt ist, aber keine Rechtfertigung für Handlungen bietet, die die Rechte Dritter in unverhältnismäßiger Weise einschränken. - Fehlerhafte Urteilsbegründung und Rückverweisung:
Da das Amtsgericht Freiburg in seinem Urteil wesentliche Umstände, wie die genaue Dauer der Blockaden, die Intensität der Verkehrsbehinderungen und die Möglichkeiten der Umfahrung nicht ausreichend festgestellt hatte, hob das OLG Karlsruhe das Urteil auf. Es verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück, damit diese Feststellungen nachgeholt und die Verwerflichkeitsprüfung entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben durchgeführt werden können.
Fazit
Das Urteil des OLG Karlsruhe unterstreicht die Bedeutung einer gründlichen und sorgfältigen Verwerflichkeitsprüfung bei der strafrechtlichen Bewertung von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten. Es macht deutlich, dass die Gerichte bei der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter präzise Feststellungen treffen müssen, um die soziale Unerträglichkeit einer Handlung schlüssig zu begründen. Gleichzeitig wird klargestellt, dass die inhaltlichen Ziele der Protestierenden, wie der Klimaschutz, in dieser rechtlichen Bewertung keine Rolle spielen dürfen. Die Entscheidung bietet wichtige Leitlinien für zukünftige Verfahren, in denen die Strafbarkeit von zivilen Ungehorsamsaktionen zu beurteilen ist.
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